Die Individualisierung schreitet weiter voran und hat nun auch eine der letzten Bastionen der Gemeinsamkeit erreicht: die Einnahme von Mahlzeiten. Besonders augenscheinlich wird der Trend anhand einer japanischen Mensa. Die Universität Kyoto hat dort nämlich Trennwände an den Tischen installieren lassen.
„Ein Tisch für 6 Personen wird in der Mitte mit einer Trennwand der Länge nach räumlich zweigeteilt“, berichtet „asienspiegel.ch“ unter Berufung auf die „Asahi Shimbun“. Somit müssen sich die Studenten nicht mehr in die Augen schauen und nur das Schmatzen oder Rülpsen von der anderen Seite erinnert daran, dass man mit Kommilitonen in der Mensa sitzt. Also orderte man gleich zehn dieser Spezialtische für das Schnellrestaurant mit alles in allem 480 Plätzen.
Die Betreiber der Kantine der Uni Kobe hatten ebenfalls beobachtet, dass in der Mittagspause viele Plätze verwaist waren – und das obwohl hier eigentlich Hochbetrieb war. Anscheinend hatten viele Studenten, die alleine unterwegs sind, Hemmungen, sich mit an einen der Tische zu setzen. In beiden Hochschulen funktioniert das Konzept außerordentlich gut. Im Land der aufgehenden Sonne heißt die Neuerung „Bocchi Seki“ - die „Sitze für Einsame“. Das hört sich ziemlich negativ an, aber die Einsamkeit ist ja schließlich freiwillig gewählt. So bleibt auch viel mehr Zeit um das Essen ungestöt in sich hineinzustopfen und man ist vor etwaigen ermüdenden Konversationen mit anderen Menschen gefeit.
Seit der Einführung von „Bocchi Seki“, der Trennwand in japanischen Mensen, hat sich das Verhalten der Studenten geändert: die Plätze sind besser besetzt. Das sagt eine Menge aus über den Grad der Individualisierung in der modernen Welt. Wir sind nicht mehr zwangsläufig auf die ursprüngliche Form der Kommunikation angewiesen sondern können uns ja haargenau aussuchen, wem wir beim essen zuschauen möchten oder nicht. Aber nicht überall stößt das Konzept auf Zustimmung. Ein Student bemängelt auf der Webseite der Uni die Enge: es sei so, als ob man in einem Studierzimmer sitze. Manche gehen wegen der Esswaben sogar gar nicht mehr in die Mensa, heißt es bei „Asienspiegel“.
Wenn nicht in Japan, wo dann? Die Gesellschaft ist zu einer nationalen Ansammlung der Singles geworden. In 32,4 Prozent der Haushalte lebt nur eine Person. Ein Unikat ist „Bocchi Seki“ jedenfalls nicht. In Nippon kann man bereits ähnlich wie in der Kantine auch in Restaurants der Kette „Ichiran“ alleine seine Speisen vertilgen. Sogar Kaschemmen für Einzelkaraoke gibt es. Aber vielleicht ist noch nicht aller Tage Abend und man nähert sich in Japan wieder an. Ein Barbecue-Restaurant für Einzelkunden musste wieder schließen – weil nicht genug Einzelesser kamen. Bildet Banden, esst zusammen!